Kristina Sassenscheidt ist seit 2019 Geschäftsführerin des Denkmalvereins Hamburg e.V. und hat sich 2007 bis 2013 ehrenamtlich für den Erhalt des historischen Gängeviertels eingesetzt.
Kampagnen für das eigene Projekt organisierenErfahrungswerte für eine gute Kampagne

Einführung
Viele Wohnprojekte benötigen Unterstützung. Mit Hilfe eines ehrlichen, aber auch effizienten Marketings - ausgerichtet an den Bedürfnissen eurer Bezugsgruppen - könnt ihr die passende Unterstützung für euer Projekt erhalten. Kampagnen als Mittel der Kommunikation helfen, euer Wohnprojekt zu realisieren.
Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins Hamburg e. V. und Aktive im Gängeviertel, fasst in diesem Artikel die wichtigsten Grundsätze und Erfahrungswerte anhand eines Beispiels aus der Praxis zusammen.
Grundsätze
Eine Kampagne ist eine zeitlich befristete Form der Kommunikation, mit der man klar definierte Ziele verfolgt.
Am Anfang steht daher immer die Analyse:
- Welche konkreten Ziele haben wir als Initiative / mit der Kampagne?
- Welche Zielgruppen wollen wir dafür in welcher Reihenfolge erreichen bzw. aktivieren?
- Welche Multiplikatoren und Netzwerke können wir nutzen, und wer sind die wichtigsten Stakeholder?
Anschließend entwickelt man ein Strategie-Konzept mit Zeitplan, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten.
Erfahrungswerte
- Eine Initiative ist umso erfolgreicher, je mehr Menschen sich mit ihrem Anliegen identifizieren können (-> lieber fragen „Was hat die Gesellschaft davon?“ und diese Aspekte nach vorne stellen, als nur die eigenen Partikularinteressen formulieren).
- Das Geld / die Unterstützung bekommt nicht die Initiative, die am bedürftigsten ist, sondern diejenige, die überzeugend darstellt, dass sie damit am meisten bewegen kann.
- Projekte vermitteln sich am effektivsten über emotionale Erlebnisse, weniger über rationale Informationen wie z.B. langatmige Flugblätter. (Die Unterstützung von Künstler*innen bzw. Kulturschaffenden ist daher immer hilfreich.)
- Eine gute Außenkommunikation bedingt eine funktionierende interne Kommunikation.
- Alle Kommunikationsmaßnahmen sollten empfängerorientiert aufgebaut sein, daher sind regelmäßige Perspektiv-Wechsel („Was will das Gegenüber?“) hilfreich für eine erfolgreiche Argumentation, die nach Möglichkeit auf (gemeinsame) Ziele ausgerichtet sein sollte.
- Es lohnt sich, früh vertrauensvolle Hintergrundgespräche mit entscheidenen Personen zu führen.
- Eine professionelle Außendarstellung (Texte, Bilder, Layouts, Logo etc.) ist heutzutage unverzichtbar. Wenn es hierfür keine Expert*innen im Projekt gibt, muss man sie sich dazu holen.
- Geeignete Prominente können die öffentliche Wirkung enorm verstärken.
- Es kann helfen, erfolgreiche Initiativen zu analysieren und ihre kommunikativen Strategien auf
das eigene Projekt zu übertragen (z.B. Gängeviertel, s.u.).
Kommunikationswege
Die wichtigsten Kommunikationswege und -mittel für Initiativen und Wohnprojekte sind:
- persönliche Begegnungen
- E-Mail-Verteiler mit am Projekt Interessierten / bereits Engagierten
- soziale Medien
- lokale Blogs, die oft gute Hintergrundrecherche machen, ausführlicher berichten als andere Medien und gut zu verlinken sind
- lokale Presse (z.B. um Menschen für Nachbarschaftsprojekte zu aktivieren) und überregionale Presse (v.a. für Protest, der die politische Stimmung beeinflussen soll).
Grundsätze der Pressearbeit
Damit die Pressearbeit für die eigene Kampagne gelingt, beachtet bitte folgende Aspekte:
- Medien brauchen klare, verlässliche Ansprechpartner:innen, die in der Lage sind, zeitnah und professionell auf Anfragen zu reagieren und für das gesamte Projekt zu sprechen. Und auch die Öffentlichkeit erwartet „Identifikationsfiguren“, die die Initiative repräsentieren.
- Journalist*innen können sehr hilfreich sein, wenn man sie von Anfang an vertrauensvoll einbezieht, mit exklusiven Informationen versorgt, ihnen damit ermöglicht, durch ihre Berichterstattung etwas zu bewegen und sie darüber zu Kompliz*innen in der Sache macht.
- Professionelle und kontinuierliche Pressearbeit kann die unterschiedlichsten Projektebenen und -phasen unterstützen, ob bei der Suche nach Kooperationspartner*innen, Partizipationsprozessen oder der Stärkung der internen Motivation.
Praxisbeispiel: Das Gängeviertel
Die Initiative „Komm in die Gänge“ konnte mit einer kulturellen Hausbesetzung am 22. August 2009 und einer begleitenden Kommunikation-Kampagne die zwölf historischen Gebäude des „Gängeviertels“ in der Hamburger Innenstadt vor dem Abbruch retten und eine der größten Debatten um Denkmalschutz und Stadtentwicklung in der Stadtgeschichte anstoßen. Nachfolgend sind die Erfolgsfaktoren und die Kommunikations-Dramaturgie der Gängeviertel-Kampagne zusammengefasst.
Kommunikations-Dramaturgie
- Vier Monate vor dem 22. August initiierten die Aktivist*innen einen großen Artikel in der überregionalen Presse (SZ) über den Verfall der Denkmäler und die bislang gescheiterten Planungen der Stadt Hamburg im Gängeviertel.
- Sie erzeugten ein mehrmonatiges „Grundrauschen“ durch Unterschriftenlisten, Engagement im Netzwerk „Recht auf Stadt“, Solidaritäts-Partys und Vorgespräche mit Entscheider*innen.
- Zwei Monate vor dem 22. August wurden Vertreter*nnen der politischen Opposition aktiviert, die
das Thema über „Schriftliche Kleine Anfragen“ in die Hamburgische Bürgerschaft brachten. - Kurz vor dem 22. August wurden Berichte über die letzten Mieter*innen im Viertel in den lokalen Zeitungen platziert (Hamburger Morgenpost/Hamburger Abendblatt). Die eingebundenen Journalist*innen konnten darüber einen Bezug zu Thema und Protagonist*innen entwickeln.
- Start der Aktion an einem Samstagmittag: Über das gesamte Wochenende konnten Tausende von Hamburger*innen die Gebäude kennenlernen, ohne dass die Immobilienverwaltung eingriff.
- Professionelle Pressemappen mit Konzepten der Initiative für die Zukunft des Viertels erwarteten die eingeladene Presse, die bereits am Sonntag bzw. Montag über die Aktion berichten konnte.
- In der Folge der „kulturellen Übernahme“ gab es Pressemitteilungen und -konferenzen, Fernsehinterviews und YouTube-Videos von Veranstaltungen; Radiosendungen und Berichte im Freien Senderkombinat, NDR, Deutschlandradio u.v.m.
Faktoren für den Erfolg der Kampagne
Die Initiative hatte:
- Ziele, mit denen sich ein Großteil der Hamburger Bevölkerung identifizieren konnte (Historische Baukultur der Stadt retten, mehr Raum für Kunst und Kultur)
- eine klare Vision / realistische Alternativplanung zum Status Quo
- positive, ideologiefrei formulierte Botschaften („Rettet die historischen Häuser!“ statt „Stoppt den Abriss durch Investoren!“)
- attraktive Bilder für die Presse (durch Kunst und Aktionen)
- ein ansprechendes, plakatives Logo mit hohem Wiedererkennungswert
- einen optimistischen, aktivierenden Slogan der Initiative: „Komm in die Gänge“
- Promi-Faktor: Als thematisch passender „Schirmherr“ fungierte der international erfolgreiche Gegenwartskünstler und ehemalige Hausbesetzer Daniel Richter.
- geeignete Fachkompetenzen: Vertreter*nnen von Künstlerhäusern, Stadtplanung, Architektur und Denkmalpflege entwickelten über Monate hinweg gemeinsam das Konzept der „kulturellen Übernahme“ und die Zukunftsvision von Sanierung und alternativer Nutzung.
- Vernetzung sowohl innerhalb der Kunst- und Kulturszene und der Protestbewegung „Recht auf Stadt“, aber auch mit Vertretenden der Verwaltung und der politischen Opposition
Zusammenfassung
Zusammenfassend scheinen drei Hauptfaktoren für den Anfangserfolg der Initiative „Komm in die Gänge“ entscheidend gewesen zu sein: eine vielseitige Vernetzung der Beteiligten, die sehr heterogene Kompetenzen zusammengebracht hat, eine professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt ein glückliches Timing.
Weiterführende Literatur
Edward Bernays (2021): Propaganda. Die Kunst der Public Relations
Erschienen bei: Orange-Press GmbH, Berlin
Phineo (2021): Kursbuch WirkungDas Praxishandbuch für alle, die Gutes noch besser tun wollen
Erschienen bei: PHINEO gemeinnützige AG, Berlin.